Herbst 2015
Die meisten Zelte, die man so im Laden kaufen kann, sind nicht für Leute mit 1,95 m Größe gemacht und die großen Zelte, die vielleicht passen könnten, sind meist schwer. Wir waren schon eine Weile auf der Suche nach dem idealen Zelt für uns zwei und irgendwann kam ich (Ralf) auf die Idee, selbst ein Zelt zu nähen.
Die Randbedingungen beim Entwurf waren:
Aus allen Erfahrungen mit Zelten, die wir früher hatten (Iglus, Tunnel-, First- und Pyramidenzelte), entwickelte ich meinen ersten Entwurf. Während der Entwurfsphase bekam ich viele gute Hinweise aus dem Forum "outdoorseiten.net" und so war schon die 9. Version die endgültige. 🙂
Das Zelt ist ein Querlieger-Firstzelt mit einer kleineren und einer großen Apsis. Zum Aufbau werden nur 3 Teleskopstöcke benötigt. Bei Fahrrad- oder Kanutouren benutzen wir Tarpstangen.
Für einen ersten Eindruck kannst Du Dir das kurze Aufbau-Video ansehen.
Das Innenzelt hat eine Liegelänge von 2,46 m bei 1,40 m Breite, man hat auch mit dicker Isomatte viel Platz über Kopf und Füßen und auch große Leute können bequem im Zelt sitzen oder knien. An der Kopf- und Fußseite bleibt neben den Matten auch noch genug Platz für Ausrüstung oder Bekleidung, die man im Innenzelt haben möchte.
Das Zelt bietet ein breites Spektrum des Wetterschutzes, vom geschlossenen Außenzelt mit winddichten Innenzelt-Türen für kaltes Winterwetter, ggf. mit zusätzlicher Lüftung an den unteren Kanten der großen Apsis, über das mückensichere Zelt mit Aussicht bis zum Sommer-Schattenplatz mit maximaler Lüftung.
Das Außenzelt habe ich aus SilNylon (55g/qm) genäht. Das hat zwar ungünstigere Dehnungseigenschaften als silikonisiertes Polyester, aber dafür ist es bei Wind leiser. In die Seiten des Außenzeltes sind 6 leichte Carbon-Röhrchen aus dem Drachenshop eingebaut, die das Dach "anheben" und verhindern, dass Wind oder Schnee das Außenzelt zu Boden drücken. Durch "automatische Leinenspanner" an den Abspannpunkten entfällt auch das lästige Nachspannen, wenn sich das SilNylon bei Nässe dehnt. Die Abspannpunkte sind durch Gurtbandschlaufen mit Leiterschnallen variabel gehalten für den Fall, dass beim Aufbau ein Stein oder eine Wurzel im Weg sein sollte.
Die Abspanngurte spannen gleichzeitig den Boden des Innenzeltes, der dadurch schön glatt gezogen wird. Der Boden des Innenzeltes ist aus relativ schwerem PU-beschichteten Nylon (90g/qm). Das Material ist so robust, dass wir nicht mehr das Bedürfnis haben, eine zusätzliche Zeltunterlage zu verwenden - anders als bei allen Kauf-Zelten, die wir über die Jahre so verwendet haben. Beim ersten Regen-Härtetest während unserer Mosel-Paddeltour hat sich der Boden auch als absolut dicht herausgestellt.
Das Dach und die Türen des Innenzeltes sind aus 45g/gm Ripstop-Nylon, die Türen haben zusätzlich ein Moskitonetz (Mesh 45g/qm). Im Innenzelt hat jeder eine Tasche für Kleinkram und es gibt zwei kleine Täschchen für die Stirnlampen, die dann als "Deckenfluter" ein sehr angenehmes indirektes Licht liefern.
Im First des Innenzeltes und in der großen Apsis habe ich "Wäscheleinen" eingebaut, so kann man in der Apsis seine tropfnasse Regenjacke aufhängen und im Innenzelt auch sein Handtuch oder ein Paar Socken trocknen.
Trotz des robusten Zeltbodens, der doppelten Innenzelt-Türen und der ganzen "Komfort-Einbauten" ist das Zelt nicht zu schwer geworden und nur durch die zusätzlichen Leinenspanner hab ich am Ende um 30g die 2,5-kg-Hürde gerissen. Ich weiß, die Ultraleicht-Freaks bekommen jetzt Schweißausbrüche, ich halte aber knapp 1,3 kg pro Person für so ein Luxus-Appartement für sehr angemessen. Immerhin bietet das Zelt auch über 7 qm "überdachte" Fläche.
Bei Fahrrad- und Kanutouren ist das Gewicht ohnehin nicht der wichtigste Parameter und auch bei Trekking-Touren sind wir ja häufig mit unseren Wanderwagen oder im Winter mit Gepäckschlitten unterwegs. Sollte es bei zukünftigen Bergtouren doch mal noch mehr aufs Gewicht ankommen, dann könnten wir das Außenzelt auch ohne Innenzelt mitnehmen.
Ich fand die üblichen Zeltsäcke, in die man das Zelt längs hineinstopfen muss, schon immer ungünstig. Deshalb hab ich aus dem Bodenmaterial eine Tasche nach Art der Ortlieb Gepäckrollen genäht. Hier kann ich das aufgerollte Zelt bequem quer hineinlegen, Heringe und ggf. Tarpstangen dazu und dann kann ich das Ganze über den Rollverschluss prima komprimieren.
Zusammengefasst die technischen Daten:
Nun die Erfahrungen. Vorweg - ich würde das Zelt wieder so bauen, bis jetzt haben wir noch keine wesentlichen Änderungswünsche und waren unterwegs ziemlich begeistert, dass auch in der Praxis alles so gut funktioniert hat. Besonders mögen wir beide die Möglichkeit mit offenem Eingang regengeschützt zu sitzen oder mit Ausblick mückengeschützt zu übernachten. Die beiden Seiten der vorderen Apsis kann man aufrollen oder bei Regen auch als zusätzlichen Schutz aufgestellt abspannen (Paddel, Stock etc.) und kann darunter sehr bequem kochen.
So weit, so gut. Eine andere Frage ist allerdings, ob ich überhaupt je wieder so ein komplexes Zelt nähen würde. Fakt ist, ich hab die ganze Sache ziemlich unterschätzt. Der Entwurf mit SketchUp war ja noch die lustige Phase, aber nachdem das Material geliefert war und ich die ersten Nähte genäht hatte, wurde mir so ganz langsam klar, worauf ich mich da eingelassen hab. Genau genommen brauchte ich schon beim Zuschnitt viel länger, als vorher gedacht.
Das Problem ist, wenn man die Arbeitsschritte so im Kopf durchgeht - erst diese Naht, dann diese, dann die Reißverschlüsse usw. - dann geht das vor dem geistigen Auge alles ziemlich schnell und problemlos - macht ja schließlich alles die Nähmaschine. Das mag bei einem routinierten Profi vielleicht wirklich so laufen, ich als unerfahrener Amateur kam aber mehrmals an meine Grenzen und bin selbst noch erstaunt, dass ich es am Ende doch durchgezogen habe.
Neben dem Nähen habe ich vor allem auch Auftrennen gelernt. Eine Naht des Innenzeltes hab ich tatsächlich 5 mal wieder aufgetrennt und war erst beim 6. Versuch mit dem Näh-Ergebnis zufrieden. Das lag nicht an der Nähmaschine. Die Carina professional hat tapfer durchgehalten und einen guten Job gemacht, selbst als sich zwei gekreuzte Doppel-Kappnähte mit einem doppelliegenden Gurtband trafen. Das Hauptproblem war für mich tatsächlich der Kampf mit dem Material.
Alle großen Nähte sind Doppel-Kappnähte, die kann ich inzwischen schon fast so präzise, als wären sie mit einer Zwillingsnadel genäht. Das SilNylon hab ich vor dem Nähen mit einem Klebestift "geheftet" (Uhu ging gut, Pritt viel schlechter). Bei den anderen Nähten (Innenzelt etc.) kamen massenhaft Stecknadeln zum Einsatz und gerade das Vernähen unterschiedlicher Materialien wie Boden, Innenzelt-Nylon und Mesh mit unterschiedlichem Dehnungsverhalten ist eine echte Herausforderung.
Der richtige Kampf beginnt aber erst, wenn die großen Flächen miteinander verbunden werden oder das Innenzelt immer geschlossener wird. Dann beginnt der Stoff immer mal wieder widerspenstig zu ziehen oder staut sich unter dem Näharm der Maschine und wenn sich dann noch ein Teil des rutschigen Materials, ohne dass man es merkt, wieder von unten mit unter den Nähfuß gemogelt hat, vielleicht noch wenn man gerade eine "Raupe" auf ein Gurtband genäht hat, dann ist der Zeitpunkt gekommen, sich in der Tischkante zu verbeißen.
Naja, ist am Ende alles gut gegangen aber ein paar Wochen hab ich an dem Projekt wirklich gekämpft. Allerdings habe ich auch während des Bauens die Details weiterentwickelt. Wie groß der catcut der einzelnen Flächen werden soll und wie sehr sich die Apsiden-Dreiecke in welche Richtung tatsächlich dehnen, hab ich immer erst praktisch ausprobiert und so war das Zelt gleichzeitig auch sein eigener Prototyp zum Testen.
Etwas davon sieht man auch auf den Fotos, einmal wurde die Lüftungshutze komplett neu gebaut, nachdem die erste nicht funktionierte, auf einem anderen Foto sieht man einen noch frei hängenden Reißverschluss der großen Apsis, der schon am First vernäht sein musste.
Jetzt muss sich noch zeigen, wie sich das Zelt im Wintereinsatz schlägt, Wind und Regen hat es ja schon ganz gut getrotzt. Wir werden berichten ...