Ende Mai 2024
Weithin sichtbar bestimmen die weißen Abraumhalden der K+S AG im hessischen Teil des Werratals die Landschaft bei Philippsthal und Widdershausen. Auf der Ostseite der Werra hat man den Abraum nicht einfach in die Gegend gekippt, obwohl auch dort riesige Mengen von Kalisalz gefördert wurden. Immerhin war die kleine DDR 1989 weltweit der drittwichtigste Kalidüngemittelproduzent. Der erst 2014 unter politischem Druck offengelegte "Kali-Fusionsvertrag" zeigt die Machenschaften der "Treuhand", in deren Verantwortung die meisten ostdeutschen Kaligruben Anfang der 90er Jahre trotz hoher Rentabilität stillgelegt wurden. Gleichzeitig konnten Millionenbeträge an Folgekosten von den neuen Eigentümern auf die Steuerzahler abgewälzt werden.
Viele Kalikumpel haben vergeblich versucht, sich gegen den Kahlschlag in der ostdeutschen Bergbau-Industrie zu wehren - ein bitterer Teil der gesamtdeutschen Geschichte nach der "Wiedervereinigung", der Folgen bis heute hat. Aber die Kumpels in Merkers haben nicht resigniert, sondern eine richtig gute Idee entwickelt, so dass nicht nur ein Teil von ihnen mit der notwendigen Sicherung des stillgelegten Grubenreviers betraut ist, sondern einige andere jetzt das Erlebnisbergwerk Merkers betreiben. Und das, soviel sei schon verraten, machen sie richtig gut.
Während unserer Werra-Paddeltour lassen wir uns die Gelegenheit nicht entgehen, an einem Schlechtwettertag unter die Erde zu verschwinden. Auf der Website des Erlebnisbergwerks haben wir uns für eine der dreistündigen Führungen angemeldet. Bei einsetzendem Regen füllt sich der Besucherparkplatz für die nächste Führung und wir verschwinden ins Trockene. Wir werden freundlich begrüßt und in Gruppen eingeteilt, dann bekommen wir eine kurze Information über den Ablauf und eine notwendige Sicherheitseinweisung, immerhin befinden wir uns jetzt in einem echten Bergwerk. Also Helme auf und los zum Förderschacht!
Der Förderkorb hat drei übereinanderliegende Etagen. Beim Betreten des Förderkorbs geben wir unsere Zählmarken ab, mit denen bei der Rückkehr überprüft wird, dass niemand unten geblieben ist. Nachdem alle drei Etagen gefüllt sind, sausen wir gemeinsam in 90 Sekunden 500 Meter in die Tiefe - der moderne Aufzug im höchsten Gebäude der Welt, dem Burj Khalifa in Dubai, fährt nicht mal doppelt so schnell. 😉
Unten angekommen müssen wir noch durch eine Wetterschleuse. Nein, hier regnet es nicht: das Bergwerk wird mit Frischluft versorgt (bewettert) und diese Luft soll nicht einfach durch den Förderschacht entweichen. Notwendig ist diese Belüftung nicht nur für die Bergleute und Maschinen, das Salz selbst enthält gebundenes Kohlendioxid, das früher schon schwere Bergunglücke auslöste. Auch noch zum Thema Wetter: hier unten herrscht mit 21 bis 28°C und geringer Luftfeuchte ewiger angenehmer "Sommer", anders als in vielen Höhlen braucht man hier keine Jacke.
Im unterirdischen Museum sehen wir uns Ausrüstung und Technologie der Salzförderung vom Förderbeginn Ende des 19. Jh. bis in die heutige Zeit an und auch die Rohmineralien und was daraus hergestellt wird. Spannend sind die Großgeräte - berühren ist ausdrücklich erlaubt. Es passen einige Susis in eine Radlader-Schaufel. 🙂
Das gesamte Förderstreckennetz hat eine Länge von gewaltigen 4600 Kilometern, hier ist niemand zu Fuß unterwegs. In den Gruppen steigen wir auf die bereitstehenden offenen Mannschaftswagen. Susi und ich haben das Glück, auf die Beifahrersitzbank eingeladen zu werden, beste Sicht nach vorn. Wie sich die Fahrer auf den kommenden gesamt 21 Kilometern rasanter Fahrt zwischen den Stationen orientieren, bleibt uns ein Rätsel. An keinem Abzweig ist irgendein "Straßenschild" oder ein Orientierungspunkt zu erkennen. Der Fahrer sagt nur lapidar, dass man das "im Kopf" hat, wenn man hier unten arbeitet. Als Lehrling durfte man hier aber nicht verloren gehen.
Der nächste Halt ist ein 250 Meter langer Großbunker, in dem 50.000 Tonnen Salz zwischengelagert werden konnten und in dem auch noch der größte untertägige Schaufelradbagger der Welt steht. Heute werden dort gelegentlich Konzerte veranstaltet, neben dem Bagger ist noch ganz viel Platz dafür. Als Demonstration bekommen wir eine Lasershow mit Musik vorgeführt.
In einem ganz anderen Bunker, dem sogenannten Goldraum hatten die Nazis Gold- und Bargeldreserven und Kunstschätze versteckt. Die Amerikaner beeilten sich im April 1945, den gefundenen Schatz, der umgerechnet auf das Jahr 2023 ungefähr einen Wert von 8,7 Milliarden Dollar hatte, in Richtung Westen abzutransportieren, da das Gebiet um Merkers nach dem Vertrag von Jalta nach Kriegsende durch die Sowjetunion verwaltet wird. Ein Teil des Schatzes gilt bis heute als verschollen.
Nach weiterer Fahrt parken die Mannschaftswagen so, dass wir in einem anderen großen Raum einen interessanten Film über den Salzabbau direkt von den Fahrzeugen aus ansehen können.
Dass wir so weit hinab gefahren sind, haben wir gar nicht bemerkt, als wir in 807 Metern Teufe (Tiefe unter der Erdoberfläche), einen natürlichen Schatz erreichen, die erst 1980 entdeckte Kristallgrotte. Sie ist als Geotop geschützt, denn in ihr sind riesige Salzkristalle bis zu einem Meter Kantenlänge natürlich gewachsen.
Ob wir die 300 "Höhenmeter" auf der selben Strecke zurück fahren oder auf einer anderen, als bei der Hinfahrt, ist für uns schwer zu sagen. Nach mehreren Kilometern erreichen wir wieder den Förderschacht, unsere Fahrer kennen sich halt aus. Mit der gleichen Zeremonie wie hinab geht es wieder nach oben. Dort verabschieden wir uns von unseren netten Tourführern, die die ganze Zeit geduldig unsere neugierigen Fragen beantwortet haben. Das Schaubergwerk war für uns ein ganz besonderes Erlebnis, wir können einen Besuch dort unbedingt empfehlen. Glück auf! 😉